Ich bin mit Leib und Seele Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen-Anhalt. An fünf Tagen in der Woche. An den beiden anderen Tagen gehört meine Leidenschaft meinem erlernten Beruf. An zwei Tagen in der Woche bin ich Gesundheits- und Krankenpflegerin – Krankenschwester – mit allem, was dazu gehört.
Ein Blogbeitrag von Susan Sziborra-Seidlitz.
Was dazu gehört, geisterte ja in den letzten Monaten immer mal wieder schlaglichtartig unter dem Stichwort „Pflegekrise“ durch die Schlagzeilen, aber daraus verschwindet es ebenso schnell auch wieder, nichts löst sich und die Krise bleibt.
Und die Auswirkungen dieser Krise machen mich inzwischen (nicht ohne Scham gegenüber meinen Kolleg*innen, bei denen es anders ist) froh, dass es nur zwei Tage in der Woche sind, in denen ich dafür zur Verfügung stehe.
Ein Leben als Krankenschwester in der Pflegekrise heißt zu leben mit der Wahl zwischen einem ständigen schlechten Gewissen den Kolleg*innen und Patient*innen gegenüber oder dem nahezu kompletten Verlust sicher planbarer Freizeit. Und diese Wahl mehrfach im Monat am Telefon treffen zu müssen. Heißt arbeiten am Kraftlimit um dann nach sehr kurzer Erholungszeit wieder ins Hamsterrad zu steigen. Heißt immer wieder das Zuwenig an Kolleg*innen zu kompensieren. Heißt menschlich bleiben, trösten, helfen, unterstützen, aufmuntern, wenn im nächsten Zimmer schon ein Notfall wartet und der Minutenzeiger unerbittlich rennt. Heißt Unsicherheit aushalten und trotzdem das Beste zu geben, wenn die prekäre Situation vieler Krankenhäuser im Land auch bei deinem Haus sichtbar wird. Heißt kollegial sein und helfen, auch wenn du dir jeden Tag mehr Armpaare wünschst um alles zu schaffen, was du schaffen musst. Heißt vor allem vollständig anders arbeiten zu müssen, als du es gelernt hast, als du es richtig findest – weil gute, richtige, moderne Pflege Zeit braucht. Zeit für Menschen, Kontakte und Beziehungen. Und Zeit ist das, was Pflegekräfte in der Pflegekrise am allerwenigsten haben.
Ich liebe meinen Beruf, aber er macht mich im Moment nicht glücklich. Er macht mich wütend und hilflos, er macht, dass ich mich als Politikerin schäme und als Frau mit Leidenschaft für wissenschaftlich basierte Pflege verzweifle.
Und ich habe keine Antworten. Es ist nicht nur ein Gefühl, es ist nicht nur mein Gefühl, dass die Bedingungen für die professionelle Pflege in Deutschland dramatisch schlechter geworden sind. Bei gleichzeitig ständig steigendem Bedarf an Pflege. Und in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wird nicht einfach nur Pflege benötigt. Da wird die beste professionelle Hilfe gebraucht. Und wir Pflegekräfte können das leisten, wenn wir die Bedingungen dazu haben. Aber diese gibt es eben nicht.
Bundesländer, die flächendeckend die Investitionsbedarfe ihrer Kliniken nicht bedienen; Finanzierungskonzepte, die konkrete Pflegebedürfnisse nicht abbilden und ein Minister, der seine Verantwortung für die professionelle Pflege auf ein paar Ideen reduziert, die in der Praxis keine Wirkung entfalten. Nichts ist besser geworden seit Beginn des Jahres.
Wir brauchen Kolleg*innen. Und viele davon. So simpel. Gutes Geld, gute Bedingungen und eine Politik, die berufliche Pflege ernst nimmt, können helfen, die an sich wunderbaren Berufe in der Pflege auch wieder zu einer Option zu machen. Für junge Menschen und für Rückkehrer*innen. Eine Politik, die Pflegende ernst nimmt – sei es mit Pflegekammern als Gesprächspartner auf Augenhöhe, sei es mit einem Minister, der sich den Problemen und Realitäten in der Pflege ehrlich und mutig stellt.
Es gibt wenige ikonische Bilder von Politiker*innen, die meisten davon haben mit sichtbar gewordener Verantwortungsübernahme zu tun. Für sie Herr Spahn, werden es wohl nicht die Gummistiefel auf dem Deich sein, aber ein weißer Kassack, Stifte in der Brusttasche (und dazu ihr Heldengrinsen) – so könnten Sie Credits bei den beruflich Pflegenden sammeln. Und noch viel wichtiger: Sie können Erfahrungen sammeln. Erfahrungen die vielleicht helfen, die Not in der die berufliche Pflege in Deutschland steckt zu begreifen. Und die es unmöglich machen, dass Sie uns weiterhin in dieser Krise einfach stecken lassen.
Meine Einladung steht, meine Kolleginnen warten gespannt auf Sie und von 6:00 bis 6:30 gibt’s sogar Kaffee.