BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt haben zum vierten Mal den Hans-Jochen-Tschiche-Demokratiepreis vergeben. Preisträgerer in diesem Jahr sind Ismet Tekin aus Halle (Saale) und die Arbeitsgemeinschaft MeGa der AWO aus Hötensleben. Der Preis wurde am Freitagabend in Magdeburg überreicht durch Antje Wilde, Witwe des 2015 verstorbenen Hans-Jochen-Tschiche und durch die Landesvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt, Madeleine Linke und Dennis Helmich.
Preisträger: Ismet Tekin
Der diesjährige Preisträger Ismet Tekin hat sich als Überlebender des antisemitischen und rassistischen Anschlags vom 9. Oktober 2019 in Halle entschieden, gegen das Schweigen und Vergessen zu kämpfen, welches leider viel zu schnell einsetzt. Ismet Tekin gibt nicht auf und trotz einiger Gegenschläge auch nicht nach. Gemeinsam mit der Soligruppe „Tekiez“ hat er den ehemaligen Dönerimbiss in der Ludwig-Wucherer-Straße zu einem Gedenk-, Bildungs- und Gesprächsort umgestaltet.
Auch wenn Ismet Tekin und seine Unterstützer*innen viel zu selten auf öffentliche, staatliche Hilfe zurückgreifen konnten, wurde gemeinsam mit der Solidarität vieler Unterstützer*innen aus der Zivilgesellschaft ein Ort der Begegnung, des Austausches und des Widerstandes gegen den Hass geschaffen, der ebenjenen Ismet Tekin zu einem Überlebenden gemacht hat. Zu einem Überlebenden, der sich diesem Hass aber nicht beugt.
Getragen von seinem außergewöhnlichen Willen und schier endloser Kraft ist Ismet Tekin nicht nur als Nebenkläger im Prozess gegen den Attentäter aufgetreten, sondern er hat in zahllosen Gesprächen mit Medien, Forschenden, Aufklärenden und damit schlussendlich der gesamten Öffentlichkeit seine Sicht der Erlebnisse geschildert. Ismet Tekin wirbt für ein gemeinsames, solidarisches Miteinander in dieser Gesellschaft – unabhängig von Herkunft, Glauben oder der individuellen Biografie. Dieses Handeln, dieser Einsatz und dieses – trotz allem Erlebten immer positiv gebliebenen – Menschenbildes sind nichts weniger als außergewöhnlich und verdienen den höchsten Respekt und Unterstützung.
Preisträgerin: Arbeitsgemeinschaft MeGa der AWO
Mauern einreißen und Grenzen abbauen. Direkt am Grünen Band, welches Jahre lang zwei Staaten getrennt hat, verbindet jetzt ein Biotop Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Aber nicht nur die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn, das Grenzdenkmal Hötensleben oder das Paläon erzählen Geschichten. Auch die Arbeitsgemeinschaft MeGa der AWO baut aktiv Grenzen ab und mahnt an.
Mit dem größten Einheitsgraffito Sachsen-Anhalts, dem jährlichen Einheitsbuddeln direkt am Grünen Band, jährlichem Stolpersteinputzen und vor allem auch Stolperstein- und Schwellenverlegungen werden regelmäßig Grenzen überwunden – im Kopf und ehemalige Grenzen der deutsch-deutschen Teilung. Dabei wird auch generations-, landkreis-, bundeslandübergreifend gearbeitet – und das auch noch im Sinne der Inklusion und Jugendbeteiligung.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind immer nachhaltiger Natur und schaffen Verständnis für bislang kaum behandelte Themen der jüngeren deutschen Geschichte in den ländlichen Räumen. Dieses Engagement wollen wir mit dem Tschiche-Preis ehren. Diese zwei Handvoll Arbeitsgruppen-Mitglieder bewirken sehr viel! Immer wieder werden engagierte Menschen aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen zusammengebracht.
Die Themen Demokratie, Bekämpfung von Rechtsextremismus und Nachhaltigkeit sind echte Herzensangelegenheit. Von den Ergebnissen profitieren sehr viele Menschen vor Ort und in der Region. Geschichte wird lebendig und am Leben gehalten. Dies ist ganz im Sinne von Hans-Jochen Tschiche, der unterschiedliche Menschen an einen Tisch geholt, bürgerschaftliches Engagement gelebt und immer wieder das Miteinander gesehen hat.
Der Preis
2016 beschlossen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt die Auslobung des „Hans-Jochen-Tschiche Gedenkpreis zur Förderung von Engagement, Demokratie und Parlamentarismus“ in Erinnerung an ihren ehemaligen Ehrenvorsitzenden. Hans-Jochen Tschiche war DDR-Oppositioneller, später Fraktionsvorsitzender der grünen Landtagsfraktion der 1990er Jahre und zentraler Akteur der rot-grünen Minderheitsregierung sowie später der Gründer des Vereins ‚Miteinander‘ zur Förderung von Demokratie und Weltoffenheit.
Der Preis soll neben der Erinnerung an seinen Namensgeber und dessen Lebensthemen auch insbesondere Einzelpersonen und Initiativen ehren, die im Kleinen und abseits der großen Städte im Land für ein gelungenes Miteinander, Integration und die Bewahrung der demokratischen Errungenschaften der Friedlichen Revolution streiten.
Alle eingegangenen Vorschläge und Bewerbungen wurden von einer sechsköpfigen Jury (bestehend aus Vertreter*innen der Familie Hans-Jochen Tschiches und von Miteinander e. V., der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt) gesichtet und bewertet.
Bisherige Preisträger*innen sind:
- Die Initiative „Buntes Roßlau“ (2017)
- Die Initiative „Oschersleben ist bunt“ (2019)
- Susanna und Markus Nierth (Sonderpreis 2019)
- Razak Minhel (2022)
- Ismet Tekin (2023)
- Die Arbeitsgemeinschaft „AG MeGa Hötensleben“ der AWO (2023)