Nach dem 2. Weltkrieg war Deutschland ein Mutterland. Während die meisten Väter unter dem Applaus der meisten Mütter Europa verheert hatten, hatten letztere zuhause den Betrieb aufrecht erhalten und haben sich danach in einer männerarmen Gesellschaft wiedergefunden. Und trotzdem fanden sich im parlamentarischen Rat, der 1948 und 49 mit der Erarbeitung des Grundgesetzes die Wiederinbetriebnahme der Demokratie in Deutschland vorbereitete, nur vier Frauen 61 Männern gegenüber. Doch was waren das für Frauen! Neben der Mitarbeit am gesamten Gesetzestext gelang es Elisabeth Selbert unter anderem, einen der wichtigsten Grundsätze unserer modernen Gesellschaft in diesem Verfassungstext zu verankern:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Danke, Frieda (Nadig), Elisabeth (Selbert), Helene (Weber) und Helene (Wessel). Welche Kämpfe habt ihr ausgestanden, mit welchem Mut euch dieser männlichen Dominanz entgegengestellt! Es geht die Geschichte, dass ihr den versammelten, diesen Grundsatz anlehnenden Männern im parlamentarischen Rat als letztes Druckmittel folgende Denkaufgabe mitgegeben habt: die Bevölkerung müsse ja nun einmal dieses Grundgesetz tragen. Und die Bevölkerung bestehe zum überwiegenden Teil aus Frauen. Und ihr wart auch durchaus bereit bei diesen Frauen ganz offensiv um diesen Artikel zu werben … Wie eine Wanderpredigerin zog Elisabeth Selbert durch die entstehende Bundesrepublik und mobilisierte die Frauen für die Gleichberechtigung. Habt Dank für die Chuzpe, mit der ihr diese Selbstverständlichkeit am Ende durchgesetzt habt. Während es noch 53 Jahre – nämlich bis 1992 dauern sollte, bis dieser Anspruch im Grundgesetz auch als Aufgabe formuliert wurde, fielen nach 1949 unter dem Einfluß dieses „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ nach und nach Paragraphen des bürgerlichen Rechts, die dem entgegenstanden. 1949 war dieser Satz keine Zustandsbeschreibung, sondern eine mutige Vision und sie hat den Grundstein gelegt für unsere moderne Gesellschaft.
Wenn wir heute streiten um Frauenrechte, gleiches Geld für gleiche Arbeit und um Parité in den Parlamenten und Aufsichtsräten, dann können wir uns auf diesen Satz als Selbstverständlichkeit berufen. Dann wissen wir, dass zumindest dieser Satz unangreifbar im Grundgesetz steht. Heute streiten wir darum, ihn mit Leben zu erfüllen. Dass das (wieder stärker) notwendig ist, zeigt: seine gesellschaftliche Relevanz ist ungebrochen.
Es gibt vieles Bedeutende, das man zum 70. Jahrestag über das Grundgesetz schreiben kann und sollte. Aber für mich ist eines der bedeutendsten Dinge dieser Satz.
Ein Hoch auf seine mutigen Mütter!